Offener Brief an den Niedersächsischen Verfassungsschutz

  • Veröffentlicht am: 14. Februar 2013 - 15:05

von Tobias Leverenz (Vorsitzender des Grünen Stadtverband Hannover)

Betreff: Ihre Einladung vom 24.01.2012

Sehr geehrte Damen und Herren,

vielen Dank für die Einladung zur Veranstaltung „Rechtsextremismus und Fremdenfeindlichkeit in Europa“ im Rahmen des Landesprogramms [i]„Demokratie stärken – Gegen Extremismus“[/i].

Grundsätzlich begrüße ich es sehr, wenn sich staatliche Institutionen mit menschenfeindlichen und rassistischen Ideologien beschäftigen und aktiv dagegen vorgehen. An der Veranstaltung vom Verfassungsschutz werde ich jedoch ausdrücklich nicht teilnehmen und möchte meine Entscheidung in diesem offenen Brief darlegen.

Der niedersächsische Verfassungsschutz schreibt in der Veranstaltungseinladung:

[i]„Die Aufdeckung der Terrorzelle NSU hat auf furchtbare Weise deutlich gemacht, dass Rechtsextremisten für ihre Ideologie auch vor brutalen Morden nicht zurückschrecken.“[/i]

Dies ist keine neue Erkenntnis: Seit 1990 wurden in Deutschland über 180 Menschen von Nazis und Rassisten brutal ermordet. Hinter jedem einzelnen Mord steht ein Schicksal, steht die Frage nach dem Warum. Rechtsextremer Terror ist tatsächlich keine neue Erscheinung in der Bundesrepublik Deutschland. Beispielhaft genannt sei hier das Oktoberfestattentat 1980. Die Aufdeckung der Terrorzelle NSU und die darauf folgenden Ermittlungen der Untersuchungsausschüsse haben mir auf schreckliche Weise deutlich gemacht, dass die Sicherheitsbehörden viel größerer Teil des Problems sind, als ich es mir je hätte vorstellen können.

Mit der Extremismus-Doktrin hat der Verfassungsschutz wiederholt Engagement gegen Nazis torpediert oder in ein schlechtes Licht gerückt. Menschen, die sich gegen Atomkraft, Mietpreiserhö-hungen, für den Tierschutz oder selbstverwaltete Zentren einsetzen, werden auf eine Stufe mit Rassisten und Personen, die menschenverachtender Ideologie verbreiten, gestellt. Dabei sind ziviler Ungehorsam, entschlossenerer Protest gegen Missstände und das Hinterfragen von Autoritäten keine Gefahr, sondern das Salz in der Suppe einer jeden Demokratie.

Auch ein Blick auf den Bundesverfassungsschutz lässt massive Bedenken am Selbstbild der Sicherheitsbehörden aufkommen: So wurde der Bürgerrechtler Rolf Gössner 38 Jahre lang überwacht. In dieser Zeit arbeitete er zehn Jahre für die Niedersächsische Landtagsfraktion der Grünen. 2011 wurde diese Überwachung vom Verwaltungsgericht Köln für durchgehend rechtswidrig erklärt. Dies ist nur ein Beispiel von vielen für das Agieren der Verfassungsschutzbehörden jenseits aller Rechtsgrundlagen.

Die Geschichte des Verfassungsschutzes (bundesweit wie auch in Niedersachsen) mit ihren vielen Skandalen zeigt, dass dringend Handlungsbedarf besteht. Einen ganz besonderen Dienst hat der Niedersächsische Verfassungsschutz der Demokratie bereits 1978 mit dem Skandal um das „Celler Loch“ erwiesen: Damals veranlasste der niedersächsische Verfassungsschutz einen Anschlag auf die JVA Celle, um die Befreiung eines mutmaßlichen RAF-Mitglieds vorzutäuschen. Öffentlichkeit und Strafverfolgungsbehörden wurden bezüglich der Urheberschaft planmäßig hinters Licht geführt.

Demokratie stärken? Der Verfassungsschutz trägt nicht zur Stärkung der Demokratie bei, sondern untergräbt diese. Von einem Geheimdienst, der antifaschistische Initiativen kriminalisiert, wissenschaftlich unseriöse Planspiele über „Extremismus“ in Schulen verbreitet, MoscheebesucherInnen pauschal verdächtigt und selbst meine eigenen ParteifreundInnen intensiv beobachtet, möchte ich mich nicht belehren lassen.

Ich bitte Sie, von weiteren Einladungen Abstand zu nehmen.

Mit freundlichen Grüßen,

Tobias Leverenz