Familie und Beruf

  • Veröffentlicht am: 23. Juni 2006 - 10:39

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Dr. Bärbel Miemitz, Dr. Michael Seitz, Ingrid Wagemann, Andrea Waibl, Uta Birkholz

Wagemann will´s wissen: Familie und Beruf - die Gratwanderung

Eine hochwertige Kinderbetreuung nach Maß ist ein wichtiges Ziel grüner Kommunalpolitik. Zur Lebensqualität von Kindern und Eltern gehört neben der Kita um die Ecke auch der Arbeitsplatz mit dem richtigen Zuschnitt und einem kinderfreundlichen Betriebsklima. Zu diesem Thema hat die Grüne OB-Kandidatin Ingrid Wagemann zu einer Diskussion eingeladen.

Ein Bericht von Ingrid Wagemann:

Wir brauchen in Hannover mehr und bedarfsgerechte Betreuungsangebote gerade für die unter Dreijährigen, wir brauchen eine Infrastruktur in der Stadt, die Kindern gerecht wird - wir brauchen betriebliche Rahmenbedingungen für Eltern, um Kinder und Beruf auf einen Nenner zu bringen.

Allerorten wird sich bemüht und beschrieben, dass Erziehung und Betreuung von Kindern Sache beider Eltern ist, dass die Kompetenzen von Frauen wesentlich sind in einer sich verändernden Arbeitswelt, dass Väter in der Erziehung ihrer Kinder gebraucht werden und profitieren können, dass ein Betrieb mit kinderfreundlichen Rahmenbedingungen insgesamt positiv auf den wirtschaftlichen Erfolg wirkt, weil Kontinuität, Motivation und Leistungsfähigkeit im Betrieb steigen.

Die Praxis bleibt hinter den Erkenntnissen zurück.

Andrea Waibl vom Verein für Alleinerziehende Mütter und Väter stellt fest, dass alleinerziehende Mütter die Arbeitszeitmodelle für ihre Berufstätigkeit fehlen - und häufig die entsprechenden Betreuungsplätze. Aber es mangelt auch an Akzeptanz und Bereitschaft in den Betrieben, sich auf Eltern einzulassen. Eine Mutter, deren Kind krank wird, nimmt Urlaub. Mit Beginn der Schulpflicht müssen die Schulferienwochen bewältigt werden. Im Bemühen, das Handicap "Kind" möglichst unbemerkt im Betrieb zu halten, erhöht sich der Stress zur "normalen Doppelbelastung" um ein Vielfaches.

Die MHH macht Punkte als familiengerechte Hochschule und leistet einiges für die Vereinbarkeit im Rahmen des Audit. Frau Dr. Miemietz, Gleichstellungsbeauftragte der MHH und Projektleiterin des audit familiengerechte Hochschule, schätzt vor allem die Veränderungen, die in den Köpfen der Menschen in der MHH stattfinden. Die Struktur des Audit zur familiengerechten Hochschule erfordert die konsequente Mitarbeit und die Auseinandersetzung auf allen Ebenen des Wissenschaftsbetriebes.

Die Marke erweist sich als nützlich bei der Akquise von Fördermitteln, wenn die Familienfreundlichkeit des Hochschulbetriebes ein Kriterium bei der Mittelvergabe ist. Das erleichtert die Arbeit der Gleichstellungsbeauftragten und Projektleiterin. Sie kann für den Wissenschaftsbetrieb wie für den Krankenhausbetrieb der MHH die Rahmenbedingungen weiter verbessern.

Eine Karriere im Wissenschaftsbetrieb setzt heute einen Einsatz nach dem Prinzip "sieben Tage - 24 Stunden" voraus. Wie Menschen mit Kindern diese Anforderungen bewältigen sollen, darauf ist schwerlich eine Antwortung zu finden im Sinne der Vereinbarkeit von Karriere und Kind.

Ganz anders und doch sehr ähnlich - bei VW wird auch Tag und Nacht gearbeitet. Eine Lösung, wie Menschen mit Kindern und ein Schichtbetrieb zusammen passen können, ist vor diesem Hintergrund schwer zu finden. Kleine Ansätze zur Vereinbarkeit von Beruf und Familie sind vorhanden, so gibt es eine Betriebsvereinbarung zu Teilzeit und zu abweichenden Arbeitszeiten, Familienservice und spezielle Frauenförderprogramme, berichtete Uta Birkholz, Betriebsrätin IG Metall und Sprecherin des Ausschuss des Betriebsrates zur Gleichstellung der Frau.

Nicht zu unterschätzen ist die Größe des Verwaltungsbetriebes, in dem eine Vereinbarkeit von Kindern und Beruf eher gefördert werden kann - allerdings um den Preis, dass dieses "Privileg" die Trennung zwischen Produktionsbereich und Verwaltungsbereich negativ verstärkt.

Dr. Michael Seitz, Referent für Wirtschaftspolitik der Industrie- und Handelskammer, ergänzt, dass die Frage der Vereinbarkeit von Familie und Beruf sich zukünftig auch auf die Erfordernisse pflegebedürftiger Angehörige beziehen wird. Nach seiner Einschätzung werden Betriebe in dem Rahmen Möglichkeiten für die Vereinbarkeit schaffen, in dem sie davon auch profitieren. Nicht mehr - und nicht weniger.

Unterstützend ist aus seiner Sicht eine betriebliche Situation, in der EntscheiderInnen in der Firma auch "Betroffene" sind. Hier findet die wichtige Veränderung in den Köpfen statt, die ein anderes Denken erst ermöglicht.

Die IHK hat 2004 mit dem "Kita-Check" auf die Notwendigkeit von flexiblen Öffnungszeiten und Betreuungsmöglichkeiten aufmerksam gemacht und hierbei auch Kitas in Hannover prämiert. Pläne für eigene Aktivitäten, Hinweise oder Informationen, wie Betriebe die Vereinbarkeit intern umsetzen oder verbessern können, bestehen aktuell nicht.

Publikum wie Podium stellen fest, das die Situationen von Eltern und Kindern immer erst dann berücksichtigt werden, wenn es für die betrieblichen Rahmenbedingungen erforderlich ist. Dann zeigt sich wirklicher Einfallsreichtum von der betrieblichen Kinderbetreuung über flexible Arbeitszeitmodelle über Heimarbeitsplätze bis hin zu dem Büro, in dem Kinder willkommen sind.

Eine Verbesserung als gesellschaftlicher Anspruch, Frauen und Männern das Leben mit Kindern zu erleichtern, ist für betriebliche Überlegungen nicht relevant.

Politik ist gefragt, Rahmenbedingungen zu schaffen, die Unternehmen und Betriebe in der Stadt anders fordern, damit Eltern sich Arbeit leisten können.

Eine hochwertige Kinderbetreuung nach Maß ist eine grüne Maxime. Die andere ist es, dafür zu sorgen, das zumindest in der städtischen Verwaltung, in städtischen Betrieben und jenen, die wesentlich von der Stadt Hannover getragen werden, die Vereinbarkeit von Kindern und Beruf selbstverständlich zum Unternehmensprofil gehört. Und zum Hannover Marketing der Zukunft gehört das Image als familienfreundliche Stadt mit familienfreundlichen Betrieben.